Das Nachtgewitter vom 1. auf den 2. Juni 1901
Kurzfassung:
Gewittersturm vom 1. zum 2. Juni 1901 von Südwest nach Nordost über weiten Teilen von West- und Norddeutschland. Zahllose Blitzschläge und teils auch erhebliche Sturmschäden kennzeichnen dieses großräumige Ereignis.
Beschreibung:
Dieser Gewittersturm ist die deutlich stärkere von zwei Gewitterfronten, die in zwei aufeinanderfolgenden Nächten hauptsächlich über West- und Norddeutschland hinwegziehen. Während das erste Ereignis (in der Nacht vom 31. Mai auf den 1. Juni) nur punktuell Schäden anrichtet, verläuft der zweite Gewittersturm deutlich intensiver.
Die Ausgangslage am Mittag des 1. Juni 1901 (13 Uhr GMT) sieht folgendermaßen aus:

(Ausschnitt aus: Synoptic Weather Map Northern Hemisphere, June 1, 1901, Quelle: NOAA)
Mitteleuropa liegt in einer allgemeinen südwestlichen Strömung, verursacht durch ein steuerndes Tiefdruckgebiet nahe der Britischen Inseln. Die Grenze zwischen wärmerer Festlandsluft und kühlerer Meeresluft wird markiert durch ein Frontensystem, das sich von Nordeuropa bis nach Deutschland hin erstreckt. Der Okklusionspunkt liegt mittags nahe Finnland und kennzeichnet die Stelle, die in der Nacht zuvor mit der ersten Gewitterfront Deutschland überquert hat.
Über Frankreich ist konvergente Luftbewegung erkennbar. Dort kommt es zu Frontogenese (in Verlängerung des bisherigen Frontensystems) und Bildung einer Welle, an der schließlich die heftigen Gewitter entstehen, die in den späten Abendstunden auf Deutschland übergreifen.
Die ersten Gewittererscheinungen werden in den Abendstunden im westlichen Deutschland beobachtet:
In Aachen (Veröffentlichungen des Met. Observatoriums Aachen Jg. 7, 1901) wird ab 21 Uhr in westlicher Richtung starkes Wetterleuchten registriert. Das Gewitter selbst kommt aus Südwesten ab 21.45 Uhr, tritt stark auf, mit heftigen Böen (bis 79 km/h) und starkem Regen bis 22.50 Uhr. Es fallen 8,2 Liter in neun Minuten, die Temperatur geht von 24 auf 18°C zurück. Während des Gewitters treten zahlreiche Entladungen auf, meist Wolkenblitze, mitunter auch Erdblitze, der Donner wird als nicht besonders stark beschrieben (Veröffentlichungen des Met. Observatoriums Aachen Jg. 7, 1901, S. 19.)
Von hier aus zieht der Gewittersturm (mit weiter zahlreichen Entladungen) nordostwärts ins westliche und nördliche Ruhrgebiet, das er bis gegen Mitternacht überquert hat. Im Anschluss daran treten zwischen Recklinghausen und Coesfeld die ersten bedeutsamen Sturmschäden an Bäumen und Gebäuden auf. Die Zugbahn des Gewitters verläuft in Richtung NO/NNO, sein Schwerpunkt zieht bis nach Mitternacht nördlich von Münster vorbei Richtung Osnabrück. Östlich von Billerbeck wird durch die Sturmböen eine Scheune vollständig umgerissen.
In Bremen (Deutsches Meteorologisches Jahrbuch für 1901) wird starkes Gewitter zwischen 1.20 und 2.20 Uhr nachts beobachtet, verbunden mit Sturmböen und Regen. Der Schwerpunkt der Gewitterfront zieht dabei südlich vorüber. Zu erheblichen Sturmschäden kommt es vor allem in der Region zwischen dem Wesertal und der nördlichen Lüneburger Heide. Insbesondere Hämelhausen (heutiger Landkreis Nienburg) wird erheblich betroffen: Hier kommt es infolge eines Downbursts (oder einer Trombe) zu erheblichen Starkwindschäden, hauptsächlich im westlichen Bereich des Ortes. Mehrere Bäume werden in geringer Höhe über dem Erdboden abgebrochen. Auch im Bereich Walsrode kommt es zu (erheblichen) Schäden, Gebäudedächer werden beschädigt.
Der Teil dieses Gewittersturms hat zwischenzeitlich eine SW-NO orientierte Zugbahn. Die Breite des Ereignisses liegt in der Zeit zwischen 2 und 3 Uhr nachts bei etwa 300 Kilometern (Ergebnisse der Gewitter-Beobachtungen in den Jahren 1901 und 1902). In den frühen Morgenstunden mit Erreichen der nördlichen Lüneburger Heide zeigt der Hauptteil des Gewittersturms erneut eher eine NNO-Komponente.
Von nun an verstärkt sich die Entladungstätigkeit ganz außerordentlich. In der Region zwischen Lüneburg, Hamburg und Lübeck kommt es im weiteren Verlauf der zweiten Nachthälfte zu mindestens 25 blitzbedingten Bränden, was diese Gewitterfront zu einer der blitzintensivsten macht, die jemals über diesen Teil Deutschlands hinweggezogen ist. In Hamburg (Deutsches Meteorologisches Jahrbuch 1901 der Deutschen Seewarte) zieht das Gewitter zwischen 03 und 04 Uhr nachts durch, verbunden mit kräftigem Regen, teils auch mit Sturmböen. Vor allem östlich der Hansestadt, etwa in einem Streifen zwischen dem Herzogtum Lauenburg, dem nordwestlichen Mecklenburg und der Lübecker Bucht, treten die meisten Blitzschäden auf. Unter anderem wird dabei auch ein Kugelblitz beobachtet, und zwar in Ziethen bei Ratzeburg. Das Gewitter verschwindet in den frühen Morgenstunden nach 04 Uhr auf die Ostsee, weiter in Richtung NO/NNO.
Nördlich der Hauptschadenszugbahn kommt es ebenfalls zu heftigem Gewitter, einen weiteren Schadensschwerpunkt kann man von Ostfriesland über die Region Cuxhaven / Nordseeküste bis ins westliche und mittlere Schleswig-Holstein hinein verfolgen. Auch hier kommt es punktuell zu Wasser-, Wind- und Blitzschäden, wenngleich nicht so intensiv wie weiter südlich. Interessant ist auch hier die Beobachtung eines Kugelblitzes nahe Rendsburg.
In der nachfolgenden navigierbaren Karte sind alle Schäden eingetragen, die bei diesem beeindruckenden Gewittersturm in der Nacht zum 2. Juni 1901 in West- und Norddeutschland aufgetreten sind (Mausklick auf die Icons liefert weitere Informationen):
Zusammengestellt mit Material aus den Sammlungen des Deutschen Wetterdienstes:
Deutsches meteorologisches Jahrbuch : Jg. 12 (1901). Bremen.
Ergebnisse der Gewitter-Beobachtungen : im Jahre .. : (1901-1902). Berlin.
Weitere Literatur:
Polis, P.: Das Nachtgewitter vom 1. Juni 1901 zu Aachen. In: Meteorologische Monatsschrift "Das Wetter" 1902, 14-17.
(Text und Bild, alle Rechte: Dr. Martin Gudd)